In der 7. Folge sprechen @sms2sms und @r33ntry über Kritik und ihre mögliche Folgenlosigkeit. Ja eben nicht Folgenlosigkeit sondern Konsequenzen. Ist sie ein Relikt aus der Buchdruckgesellschaft? Ist sie sinnlos geworden? Zu leicht? Zu dumm? Und was sonst, wenn nicht Kritik? Heimlich dabei und reingeschnitten Kommentare von @kusanowsky beim @sowistammtisch. Verrückte neue Technik…
Shownotes und Ergänzungen
hier kommen bald weitere Notizen…
Testen wir noch einmal die Kommunikation über Kritik und über den Kritikbegriff und lasst und schauen, was die Kommunikation als empirische Möglichkeiten auswirft, wenn wir feststellen, dass die Möglichkeit der Bedingungen, unter denen Kritik notwendig wird, sich für uns wandeln und ganz andere Ausgangssituationen herstellen als solche, durch die Kritik ihre Möglichkeit erwirken konnte, insbesondere in Hinsicht darauf, dass Kritik keine bedingungslose Normalität hat, sondern in ihren Entfaltungsmöglichkeiten auf spezifische Strukturen angewiesen ist, die erstens keine Notwendigkeit und die zweitens, wenn sie ihre Kontingenz zulassen, auf diese Kontingenz mit einer gewissen Notwendigkeit derselben reagieren.
Die Gesellschaft als Schutzschirm dieser Struktur muss – das gilt für die moderne Gesellschaft – dafür sorgen, dass infolge von Kritik immer auch noch etwas Anderes, immer auch etwas Neues, etwas Unbedachtes, etwas Unvorhergesehenes, etwas noch nicht Gesagtes, immer auch ein “Noch mehr” kommunikabel wird und, sobald das gelingt, immer auch ein noch mehr von allem, was es schon gibt. Die Kritik der modernen Gesellschaft ist angepasst auf ein Nichtgenügen all dessen, was schon angehäuft, was schon erwirtschaftet, was schon errungen wurde. Kritik verlangt die Ausmerzung des Mangels. Folglich musste es zu einer Radikalisierung der Kritik kommen, weil alle Kritik ob ihrer funktional relevanten Spezifität enorme Lücken hinterlässt, die zur Radikalisierung führt, Radikalisierung mit und ohne Gewaltanwendung: radikale Kritik mit Gewalt führte zu Stalinismus und Faschismus, radikale Kritik ohne Gewalt führte zu Dadaismus, Zwölftonmusik und Splatterfilmen.
Was bleibt übrig, wenn wir den generationenlangen Prozess der Einübung von Kritik reflektieren und feststellen. dass weder Faschismus noch Dadaismus etwas ist, womit wir im Alltag etwas anfangen können. Was wir haben, was wir genauso begehren wie verachten ist die Inklusion durch Organisation einerseits und anderseits die Verwunderung über eine bizarre Welt, die wir nur aus Massenmedien kennen können. Und jetzt auch noch das Internet und die Anarchie, die Wildnis, die damit einhergeht? Unter Vernachlässiung bekannter Grenzen der Begegnung und Bekanntwerdung mit Unbekannten?
Kritik wurde notwendig als empirische Möglichkeit der sozialen Selbstentfaltung transzendentaler Subjektivität. Dieser Prozess hatte Ausgangsbedingungen, die uns gänzlich unbekannt geworden sind: Feudhalherrschaft, Untertänigkeit, Tradition, Gehorsam, Gottesfürchtigkeit – all das wurde entnaivisiert, hat sich strukurell determiniert und sich mit der Industrialisierung in Überschuss und Überfluss ausdifferenziert. Für uns ist Kritik ein Überflussphänomen geworden.
Man kann, was diesen Punkt angeht, jederzeit und berechtigterweise hinsichtlich einer anderen Unterscheidung anderer Meinung sein; und man kann sie mehr oder wenig gut, differenziert und komplex begründen. Daran ist niemand mehr nirgendwo durch irgendwas gehindert, was nicht heißt, dass es jedem gelingt. Natürlich findet Selektion von Meinung in Folge von Kritik statt. Aber die Selektionshindernisse lassen sich nicht mehr aufteilen in verantwortliches Handeln in Organisationen und Rechtfertigung von Meinung durch Massenmedien.
Natürlich bleibt die Möglichkeit, Kritik zu äußern, erhalten, wie die moderne Gesellschaft nicht die Möglichkeit abgeschafft hat, Gebete zu sprechen oder seine Sünden zu beichten. Es zeigt sich nunmehr, dass Kritik eine moderne Frömmigkeitspraxis ist, die zur Stabilisierung der Differenzierungsform gebraucht wurde. Das heißt auch, dass Kritik nicht abgeschafft wird, sondern sie gerät nunmehr unter andere Bedingungen, über die zu kommunzieren, wenn nicht in den etablierten Routinen der Kritik, sehr schwer fällt.
Deshalb meine Stammelei, mein Stottern, mein Wüten und meine Indifferenz gegenüber jeder berechtigten Kritik. Ich weiß es nicht, ich kann es nicht. Ich versuche es nur.
Wirklich dramatische Gedanken, die Ihr unserem Stammtischgespräch angeschlossen habt. Gern laden wir Klaus Kusanowsky erneut vor- bzw. ein. Falls er zusagt, werden wir zu euren Standpunkten Stellung beziehen. Die Kusanowsky-Folgen hatten insgesamt eine interessante und qualitativ höchwertige Publikumsresonanz, die es Wert ist, besprochen zu werden. Das klappt bei uns aber frühestens im Dezember.
Euer Podcast ist übrigends Klasse.
René
Es geht Klaus Kusnowsky nicht darum, ob Kritik wahr oder falsch ist, sondern darum, ob Kritik folgen hat (was Kritik ja immerhin vorgibt, sich zu wünschen) oder ob sie folgenlos bleibt, was meistens der Fall ist, wie Kusanowsky beobachtet. Und im diesem und nur in diesem Zusammenhang spielt es eine Rolle, ob Kritik schwer ist oder nicht. Die Schwierigkeit von Handlung oder Kritik ist nur ein Indikator dafür, dass ihre Ausführung oder Äußerung möglicherweise Folgen haben wird …